In den vergangenen Tagen ist durch Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des Bayerischen Rundfunks das Medikament Cytotec in die Schlagzeilen geraten. In diesem Zusammenhang erschienen Zeitungsartikel, wie etwa der mit der Überschrift „Die Angst der Schwangeren“ o.ä.

Worum geht es hierbei?

Cytotec ist ein Medikament, welches ursprünglich als Magenschutzmittel auf den Markt kam.

Der maßgeblich in Cytotec enthaltene Wirkstoff Misoprostol ist ein synthetisch hergestellter Abkömmling des natürlich vorkommenden Gewebehormons Prostaglandin.

Prostaglandine, welche der menschliche Körper selber herstellt, haben insbesondere eine Uterus (=Gebärmutter) kontrahierende und Zervix (=Gebär-mutterhals) erweichende Wirkung, weshalb sie in der Gynäkologie bzw. Geburtshilfe vaginal zur medizinisch indizierten Geburtseinleitung (Wehenaus-lösung) angewendet werden.

Was den medizinischen Laien irritiert und was darum vielleicht auch in mancher Presseveröffentlichung regelrecht ausgeschlachtet wird, ist die Tatsache, dass Cytotec bislang in Deutschland nicht für den Einsatz in der Geburtshilfe zugelassen ist.

Gleichwohl wird das Medikament wahrscheinlich in etwa der Hälfte der geburtshilflichen Einrichtungen in Deutschland verwendet, und zwar im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit (sogenannter Off-Label-Use). Das ist nach Absprache mit den Patientinnen völlig legitim und auch üblich.

In die Schlagzeilen geraten ist das Medikament, weil es im Verdacht steht, etwa lebensgefährliche Risse der Gebärmutter auszulösen; zudem wird kolportiert, dass es Fälle von gesundheitlichen Schäden bei Babys bis hin zu dauerhaften Behinderungen und sogar Todesfälle gegeben habe, wegen einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns. Derartige Schäden sollen im Zusammenhang mit einem durch Cytotec ausgelösten sogenannten Wehensturm stehen.

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (kurz: DGGG) hält dagegen, dass die in den Medien aufgegriffenen Fälle vor allem Geburten betroffen hätten, bei denen vorher schon eine Operation der Gebärmutter (frühere Geburt mittels Kaiserschnitt, Entfernung von Myomen o.a.) erfolgt war, bei welchen -völlig unabhängig von einer Geburtseinleitung- immer auf das Risiko einer sogenannten Uterusruptur
(= Zerreißung der Gebärmutterwand) und damit entsprechend erhöhte Risiken für Mutter und Kind bestehen.

Die DGGG weist deshalb darauf hin, dass in solchen Fällen Misoprostol grundsätzlich nicht zur Geburtseinleitung verwendet werden dürfe, was bereits seit vielen Jahren bekannt sei, häufig aber im klinischen Alltag nicht beachtet werde.

Andererseits überwiegen offenbar bei korrekter Dosis die Vorteile, denn etliche Studien zeigen, dass der im Medikament enthaltene Wirkstoff Misoprostol vor allem in Tablettenform seltener zu Kaiserschnitten führt, im Vergleich zu anderen Mitteln wie Dinoproston oder Oxytocin. Das belegt eine Auswertung des renommierten Cochrane-Netzwerks von 75 relevanten Studien mit 14 000 Teilnehmerinnen (dabei gelten Cochrane-Analysen als sehr zuverlässig, denn hierfür werden nur die aussagekräftigsten Daten zusammengefasst).

Nach alledem lohnt es sich also -wie so oft- genau hinzuschauen. Und auch wenn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Warnhinweise zu Nebenwirkungen insbesondere von Cytotec veröffentlicht hat, bedeutet das nicht automatisch, dass dieses Medikament nicht verwendet werden soll, sondern nur, dass jeder Wirkstoff Nebenwirkungen hat oder Komplikationen auslösen kann, teils auch lebensbedrohliche. Es kommt darum immer auf die zielgenaue Anwendung im konkreten Fall an.

Problematischer erscheint mir in diesem Fall eher, dass es in vielen Kliniken zu wenig Zeit und zu wenig Personal gibt, weil schlichtweg nicht genug Geld für die sorgsame Betreuung Schwangerer da ist. Hieraus resultiert, dass Hebammen und Ärzte nicht immer ohne Zeitdruck mit der Schwangeren Risiken abwägen, auf Fragen und Sorgen eingehen, und werdende Mütter während der Entbindung ausreichend überwachen und so intensiv begleiten können, wie es erforderlich wäre, um Schäden für Mutter und Kind zu vermeiden.

Dass gerade eben dies häufig die Ursache für Behinderungen von Neugeborenen ist, wird in der aktuellen aufgeheizten Diskussion um das Medikament Cytotec verschiedentlich übersehen.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Benedikt Jansen/Kempten (Allgäu) und Ulm; www.jansen-muehl.de