Beim Verfassen der Stellungnahme zu einem gerichtlichen Sachverständigengutachten in einer orthopädischen Angelegenheit (Implantation eines künstlichen Hüftgelenkes) stolperte ich neulich über einen mir so noch nicht vorgekommenen Passus im Operationsbericht des Arztes, welcher während der Operation -und zwar trotz ausführlicher präoperativer Bildgebung- 2 x von nicht vermuteten „engen Gelenkverhältnissen“ und darum von einem „schwierigen Zugang zum Hüftgelenk“ bzw. einem „schwierigen engen anatomischen Zugang zum Schaft“ überrascht wurde und deshalb neben der eigentlich beabsichtigten Implantation des Kunstgelenkes zusätzlich noch zwei Muskelentspannungsoperationen im Sinne eines sog. Weichteilbalancings vorgenommen hat, welche vorher nicht mit der Patientin abgesprochen waren.

Die Patientin, welche von diesem Arzt operiert worden war, leidet seitdem insbesondere an anhaltenden Schmerzen und einer Schwäche der Glutealmuskulatur (das ist die bei einer Hüftoperation betroffene Muskulatur am Gesäß) „unklarer Ursache“.

Meine Aufgabe als Interessensvertreter von Patienten sehe ich insbesondere darin, etwa im vorbeschriebenen Fall zu überprüfen, ob die geschilderten Probleme der Patientin nach der Operation in Zusammenhang mit letzterer (und eben nicht mit der Grunderkrankung) stehen können, und wenn ja, ob im vorliegenden Fall tatsächlich ein Weichteilbalancing erforderlich war und entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wurde; ggfs. hätten der Patientin ja ihre seit der Operation bestehenden Schmerzen und Beschwerden erspart werden können…

Im Zuge meiner Recherchen stieß ich dann sehr schnell auf einen Beitrag der „Ärzte Zeitung online“, welcher den Lesern -unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs zum sog. Zielleistungsprinzip- erklärte, wie Ärzte, die bei einer Operation zusätzliche Leistungen (wie etwa ein Weichteilbalancing im Rahmen einer Hüftoperation) erbringen, die Möglichkeit haben, zusätzliche Ziffern des Leistungskataloges abzurechnen. Außerdem habe ich dann auch regelrechte „Anleitungen“ zur Mehrabrechnung in diesem Sinne im Internet gefunden.

Das alles irritiert, obwohl jeder weiß, dass es immer wieder Menschen gibt, die die bestehenden Sozialsysteme für sich „fruchtbar“ machen; allerdings fällt mir die Vorstellung schwer, und ich will das auch nicht glauben, dass es Ärzte gibt, die sich nicht nur auf Kosten der Allgemeinheit, sondern sogar auf Kosten der Gesundheit der ihnen anvertrauten Patienten bereichern. Andererseits muß ich mich aber auch fragen, warum das Sozialgesetzbuch bei allen gesetzlichen Krankenkassen die Schaffung von „Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ fordert.

Im Sinne des Vertrauens, das die Menschen den sie behandelnden Ärzten tagtäglich entgegenbringen, hoffe ich in dem oben geschilderten Fall ausnahmsweise auf ein gutes Ende des gerichtlichen Verfahrens für den betroffenen Arzt.

Dieser Beitrag wurde von Rechtsanwalt und Fachanwalt Benedikt Jansen/Kempten (www.jansen-muehl.de) verfasst.